visualisiert.


Vergesst die Parteien, visualisiert die Koalitionen!

von Gregor Aisch. Lesezeit: fast 5 Minuten.

Wenn ich so etwas wie eine “Regel Nr. 1″ der Informationsvisualisierung benennen sollte, so wäre es mit großer Wahrscheinlichkeit diese:

Zeige das Wichtigste zuerst!

Nicht als Zweites, nicht als Drittes, sondern zuerst.

Das Wichtigste an Wahlergebnissen ist wer die Wahl gewinnt.

Nach einer üblichen Interpretation gewinnt die Wahlen, wer sich am Ende als Teil einer Regierung wieder findet. Es gewinnen natürlich auch einzelne Parteien, die deutlich an Stimmen zulegen konnten, aber darum soll es hier nicht gehen.

Schauen wir uns die Einstiegsvisualisierung zu Wahlausgängen an, das Balkendiagramm der Parteien, so stellen wir schnell fest dass diese Darstellung uns die Frage nach dem Gewinner nicht auf Anhieb beantwortet.

Denn Wahlen gewinnt nicht die Partei mit den meisten Stimmen, sondern die Partei(en) die eine Mehrheit an Sitzen im Parlament stellen können. Und außerhalb von Bayern und Hamburg gibt dazu keinen Weg vorbei an Koalitionen. Das oben dargestellte Balkendiagramm hilft uns nicht weiter. Zur Beantwortung der Gewinner-Frage muss der Leser

  1. die Gesamtzahl der Sitze der verschiedenen Koalitionen berechnen,
  2. die Gesamtzahl der Sitze im Parlament berechnen, um herauszufinden wie viele Sitze zur Mehrheit benötigt werden, und schließlich
  3. die Ergebnisse aus 1. und 2. miteinander vergleichen

Wie es um unsere Qualitäten im Kopfrechnen steht, kann jetzt jeder für sich beurteilen. Genau deswegen gibt es (mit Ausnahme vom ARD Wahlmonitor!) Visualisierungen die anzeigen, welche Koalitionen möglich sind. Aber wo finden wir sie? Ganz hinten.

Quelle: Wahlgrafik der Agentur Onlinewerft, eingebunden u.a. von ZEIT ONLINE und SZ

Wie Koalitionen bisher visualisiert wurden

Bei vorherigen Wahlen konnte man zwei grundsätzliche Typen von Koalitionsvisualisierungen entdecken: die einfache Anzeige von zwei bis drei rechnerisch mgl. Koalitionen und den “Koalitionsrechner”.

Quelle: Wahlgrafik der Agentur Onlinewerft, eingebunden u.a. von ZEIT ONLINE und SZ

Die erste Variante (siehe oben) zeigt in der Regel eine eingeschränkte Auswahl von zwei bis drei möglichen Koalitionen. Das Problem dabei: zum Einen werden theoretisch denkbare, jedoch politisch unwahrscheinlichere Konstellationen oft einfach weggelassen. Dabei wäre der Blick auf Schwarz-Grün angesichts der zahlreichen Spekulationen im Vorfeld der Wahl gestern sicherlich interessant gewesen.

Zum anderen werden in dieser Variante unmögliche Koalitionen meist nicht dargestellt, egal ob ihnen zur Mehrheit nur ein einziger Sitz fehlt. Bei schwankenden Hochrechnungen ergeben sich somit stark polarisierende Momentaufnahmen, in denen entweder Rot-Grün, oder Schwarz-Gelb “gewonnen” hat.

Do it yourself: der Koalitionsrechner

Der alternative Ansatz ist der Koalitionsrechner. Die Idee ist, dass die Benutzer sich die Koalitionen einfach selbst zusammenstellen können. Die oben genannten Fälle von fehlenden Darstellungen lassen sich somit umgehen. Jedoch: das Vergleichen von unterschiedlichen Koalitionen ist mitunter etwas mühsam, vor allem da man diesen Prozess nach jeder neuen Hochrechnung wiederholen muss. Der Vergleich verschiedener Koalitionen ist durch die Erweiterung zum “Vergleichsrechner” möglich.

Koalitionsrechner mit Vergleichsfunktion von SPIEGEL ONLINE

 

Zeit für etwas Neues*: Das XXL-Koalitionsdiagramm

*Eigentlich ist die Idee gar nicht so neu, sondern eine recht simple Weiterentwicklung des ersten Ansatzes. Zum einen werden alle theoretisch denkbaren Koalitionen angezeigt, also auch Jamaika, Rot-Rot-Grün, Schwarz-Grün usw. Einzige Ausschlussregel: wenn es für eine Zweiparteienkoalition reicht werden darauf aufbauende Dreiparteienkoalitionen ausgeblendet. Da dadurch mehr Platz benötigt wird habe ich mich für vertikale Balken entschlossen.

Zweite Weiterentwicklung: es werden zusätzlich auch solche Koalitionen angezeigt, für die (noch) keine Mehrheit zusammenkommt. Dadurch werden die derzeit ‘möglichen’ Koalitionen in einen sinnvollen Kontext gesetzt. Und bei neuen Hochrechnungen “verschwinden” Koalitionen nicht einfach so, sie ändern nur ihren Ort.

Zur Abgrenzung zwischen den rechnerisch möglichen und unmöglichen Koalitionen habe ich mich nach mehreren Anlaufen für die Variante “viel Platz in der Mitte lassen und großzügig beschriften” entscheiden.

Relative Beschriftung machen das Lesen leichter

Wichtiger Punkt: durch Übergang- und Ausgleichsmandate verändert sich die Gesamtzahl der Sitze über den Abend, und damit auch die Anzahl der Sitze die zur Mehrheit benötigt werden. Mal braucht es 68 Sitze um regieren zu können, dann sind es plötzlich 74. Statt die Koalitionen also mit der absoluten Zahl der Sitze zu beschriften, zeigt meine Grafik wieviele Sitze Vorsprung bzw. Rückstand eine Koalition gerade hat. So kann dem Betrachter im ersten Moment egal sein, wie groß der Landtag wird. Zusätzliche Beschriftungen wie “diese Koalition hat eine Mehrheit” ist somit nicht notwendig.

Rückblick auf vergangene Hochrechnungen. Lädt dazu ein den wahlabend im Replay zu betrachten. Nimmt den Druck aus der Live Berichterstattung: etwas wichtiges zu verpassen während man kurz “wegschaltet”.

 Animationen sind mehr als nur Spielerei

Animierte Übergänge sind mehr als nur Spielerei. Sie helfen dem Betrachter den Anschluss zwischen verschiedenen “Zuständen” der Grafik zu behalten. Das spannende Hin- und Her zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün, dass von weniger enthusiastischen Medien schon als langweiliges “Patt” verkauft wurde, gipfelte in einem fröhlichen Tanz der Koalitionen zwischen den Seiten.

Besser hätte ich mir den Verlauf des Wahlabends nicht ausdenken können!

Koalitionskarten

Von der Erkenntnis, die Koalitionen in den Fokus der Visualisierungen zu rücken, war es kein großer Schritt zu den Koalitionskarten. Wahlkarten stellen üblicherweise die Ergebnisse einer Partei dar, und damit sind wir schon beim Kern des Problems. Eine Partei allein kann selten regieren.

Koalitionskarten schaffen Abhilfe: Sie zeigen, in welchen Wahlkreisen eine bestimmte Koalition mehr als 50% der Stimmen erhalten hat.

Quelle: nds2013.vis4.net/koalitionskarten

Besonders interessant bei der Wahl in Niedersachsen ist der Vergleich zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb. Die Gegenüberstellung der Koalitionskarten zeigt ein gespaltetes Niedersachsen:

Anmerkungen?

Für Anmerkungen, Kritik und weitere Ideen ist in den Kommentaren der richtige Platz. Der Autor nimmt Hinweise auf Kommafehler und andere grobe Sprachverirrungen dankend entgegen.

Vielleicht gibt es die oben vorgestellten Visualisierungen aber auch schon längst, für Hinweise und Links bin ich dankbar.

Zum Autor

Gregor Aisch entwirft und programmiert interaktive Visualisierungen und bloggt darüber.

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